Winterwanderung
Schritte
Leise knirscht der Schnee unter meinen Sohlen. Meine Füsse suchen den Halt und prüfen mit jedem Schritt instinktiv den Untergrund. Die kalte Luft gleitet wie von selbst tief in meine Lungenflügel. Es ist, also ob diese die reine, leichte Luft gierig in sich aufsaugen. Ja, Winterluft ist wie ein Glas kaltes Wasser an einem heissen Sommertag.
Am Klang des Knirschens weiss ich nun wo der sichere Tritt ist. So kann ich meine Gedanken schweifen lassen und die Sicherheit meines Ganges in einen hinteren Teil meines Hirns delegieren.
Winter
Winter ist etwas Wunderbares. Vor allem, wenn der Schnee dick über der Landschaft liegt. Das Leben ist zugedeckt, zum Schlafen gelegt und wird von Trilliarden von Schneeflocken von allzu beissender Kälte beschützt. Natürlich geht das Leben unter der Decke weiter. Da sind Nager, die sich jetzt plötzlich unbehelligt ihre Gänge im durchlässigen Element des Schnees sehr schnell graben können. Und da sind die Wurzeln und Knollen, die die Energie sammeln, für den Moment, wo es dann wieder los geht.
Leben
Doch für viel Leben ist der Winter das Ende und das Samenkorn muss sterben, damit daraus neues Leben erwachsen kann. Auch für uns Menschen gibt es einen Winter des Lebens. Dann, wenn unsere Kräfte nach lassen und unsere Seelen frei werden von vielen Zwängen des Lebens. Glücklich die Seele, die die Zeichen der Zeit erkennen kann und die Mühseligkeit eines schwächelnden Körpers nicht als Hinderungsgrund nimmt, seine Seele fliegen zu lassen. Glücklich die Seele, die gelernt hat dankbar zu sein und in der Vereinfachung des Lebens eine Tugend sieht, der es sich lohnt zu folgen.
Stille
Ich bleibe stehen und höre die Stille. Kein Knirschen meiner Schritte mehr, kein Zwitschern eines Vogels, kein Motor, kein Gespräch, nur die laute Stille. Sie ist hier, wie die Kälte, omnipräsent durchdringt sie alles, was da ist. Endlich kann sie sich ausbreiten, wird nicht wie der Schatten vom Licht verjagt. Der Winter ist ihre Zeit der Herrschaft. In keiner anderen Jahreszeit ist sie so laut. Viele Menschen haben Angst vor ihr, vielleicht mehr denn je. Wir versuchen immer sie zu übertönen, mit immer grösseren Stöpseln und Bässen. Dabei hat sie uns sehr viel zu erzählen. Doch ihr zuzuhören muss gelernt sein, denn wer das macht, hört zuerst den Schrei seiner Seele.